Wandererverein
Wegscheid

Geschichte des Wanderervereins Wegscheid

Eine Geschichte, die mit der Entwicklung von Wegscheid eng verbunden ist

Die Geschichte des Wanderervereins Wegscheid wurde von Heinrich Boxleitner anlässlich der 150-Jahr Feier im Jahre 1992 erstellt. Dies ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung. Bearbeitet von Franz Schuster.

 

Der Wandererverein Wegscheid wurde am 1. März 1842 von Wegscheider Marktbürgern nach Anregung des Land- und Wundarztes Anton Tremmel und des Kaufmanns und Posthalters Alois Lang gegründet.

Die Rechnungsbücher sind seit 1842 fast vollständig erhalten und ergeben ein überaus genauses Bild über die wirtschaftliche uns soziale Entwicklung des Marktes Wegscheid.

Das Leben spielt sich ab im politischen und wirtschaftlichen Rahmen, von dem jeder abhängt, der ihm seine Chancen gibt und seine Grenzen setzt. So ist auch die Geschichte des Wanderervereins deutlich geprägt von der sozialen Frage im 19. Jahrhundert, den Umwälzungen zur Zeit des I. Weltkrieges, der Zeit des Nationalsozialismus mit dem II. Weltkrieg und der folgenden Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders.

 

Die Gründungsphase 1842 - 1870

Mitglieder im Wandererverein Wegscheid waren nur Markt-Bürger. Sie betrachteten sich als eigenen Stand, der sich wie alle Stände damals scharf abgrenzte. Unter den Gründungsmitgliedern befanden sich vier Gastwirte, zwei Kaufleute, sieben Gendarmen und Aufseher, zwölf Handwerksmeister, fünf Magistrats- und Gerichtsschreiber und der Apotheker Heimböck.

Ab 1846 kam die Prominenz des Marktes hinzu: Der Landrichter, Dr. Lutz, Dr. Seidl, der Gerichtsarzt Dr. Stadelmayer, der Lehrer Schwed, der Pfarrer, der erste und der zweite Kooperator, der Zollverwalter, der Advokat. Genau wurde auch auf die Rangabzeichnungen geachtet. Herr Ott war "Aufseher", Herr Wanninger "Grenzoberaufseher zu Pferd".

Der Großteil der Bevölkerung, Bauern, Dienstboten, Handwerksgesellen, Weber und Häusler waren ausgeschlossen. Sie gehörten nicht zum Stand der "Bürger".

Vom damaligen Verständnis her ist es kein Widerspruch, wenn in den Vereinsstatuten in der revidierten Fassung von 1849 steht:

"Paragraph 2: Mitglieder des Vereins können sein alle ledigen und verheiratheten Individuen, welche als ordentlich und friedliebend bekannt sind, und sich den in den folgenden Paragraphen ausgesprochenen Verbindlichkeiten unterziehen."

Die geänderten Statuten von 1870 werden schon deutlicher: 

"Paragraph 2: Der Eintritt steht jedem Gebildeten offen; auch Frauen von Vereinsmitgliedern können eintreten. Die Anmeldung zum Eintritte hat bei einem Ausschußmitgliede zu geschehen; über die Aufnahme entscheidet die Merhheit der Vereinsmitglieder ..."

Anschließend wird auf's genaueste das Beitrittsverfahren festgelegt. Die Abgrenzung zu den unteren Schichten wird immer schärfer.

Der Verein hatte anfangs zwischen dreißig und fünfzig Mitglieder. Der Höhepunkt war 1846 mit 53, der Tiefpunkt 1859 mit nur noch 16. Auffallend hoch ist der ständige Wechsel von Mitgliedern, der aber leicht zu erklären ist: der Wandererverein konstituierte sich jährlich neu - es gibt keine Fortschreibung der Mitgliedslisten, und die vielen Beamten im Markt betrachteten die Wegscheider Dienststellen nur als Durchgangsstation.

Aber es gab auch, wie in jedem Verein, einen harten Kern: der kgl. Beirksarzt Dr. Emanuel Lutz mit Gemahlin, der Färber Johann Lang, der Wirt Ignaz Lang, der Handelsmann Alois Lang, der Kaufmann Johann Escherich, der Wirt Kasimir Escherich und Lehrer Joseph Schwed, der zugleich Organist und Mesner war. 

Erwähnenswert ist auch der Vereinsdiener Killesreiter, der selbst nicht Mitglied des "löblichen Wanderervereins" war und über Jahrzehnte die Botengänge besorgte, für die er allerdings entlohnt wurde.

Der Zweck des Wanderervereins

Zum Vereinszweck geben die Satuten eindeutig Auskunft.

Paragraph 1: Der Zweck des Vereins ist:

a) Förderung des Wohltätigkeits-Sinnes unter den Einwohnern von Wegscheid

b) unbeschränkte Unterhaltungen und Erheiterungen

c) Erhöhung der Trauerfeier eines verstorbenen Mitgliedes

Auch in der Neufassung vom 16. März 1870 wurden diese Formulierungen wörtlich übernommen. Von "Wandern" im heutigen Sinn ist nicht die Rede, sondern man muss zunächst annehmen, dass es sich um einen karitativen Verein handelte, der mit finanziellen Mitteln die Armen des Marktes unterstützte. So erhielt am 27.06.1853 Bürgermeister Escherich 20 Gulden für die "Ortsarmen". Auch Kredite wurden gewährt.

Bis 1871 war die Währung Gulden und Kreuzer. Sechzig Kreuzer waren ein Gulden. Für ein Pfund Schinken zahlte man in Wegscheid 1846 zwanzig Kreuzer. Ein Pfund Emmentaler kostete 40 Kreuzer. Für einen Botengang nach Untergriesbach erhielt der Vereinsdiener 32 Kreuzer. Der Monatsbeitrag beim Wanderer war 6 Kreuzer.

Im Jahr 1846 erhielten zwei Brandleider jeweils 10 Gulden, auch hier war also der soziale Aspekt des Wanderervereins zur Stelle.

Besonders spendabel zeigte sich der Wandererverein jedoch, wenn es um das Wohlergehen der Mitglieder ging. So wurden für "Unterhaltungen, Belustigungen und Zechen" stolze Beträge ausgegeben. Jährlich fand immer eine größere "Zeche" statt, oft mit Feuerwerk, meist auswärts: in Sonnen, Untergriesbach, Grubweg, selten in Wegscheid selbst. 

Einen interessanten Einblick in diese Zeit gewährt uns der Wegscheider Gerichtsarzt Dr. Max Teichlein in einem Bericht:

"Reiche Leute gibt es nur äußerst wenige; coscribirte Arme, welche von den Gemeinden ernährt werden 8meist gebrechliche Dienstboten), gibt es 136." Er kritisiert aber allgemein den schlechten Zustand der Kleidung und der Wohnungen, lobt die eheliche Treue und Fruchtbarkeit: "10 - 12 Kinder sind keine Seltenheit. Die Einwohner sind fromm, aber ungemein abergläubisch."

Der Reigen der Wanderer im Jahre 1880

Die Zeit des Kaiserreichs 1871 - 1914

Während dieser Zeit befand sich der Wandererverein Wegscheid auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung und wirkte entscheidend auf die Geschichte des Marktes ein. Verschiedene gegensätzliche Strömungen sind erkennbar: Der zunehmende Einfluss der Beamtenschaft im Verein, zunehmende soziale Aktivitäten wegen der entstehenden Massenarmut und zugleich deutliche Demonstration des bürgerlichen Selbstbewusstseins.

Der Verein hatte in dieser Zeit zwischen sechzig und siebzig Mitglieder, aber auch da war die Fluktuation auffallend hoch. Etwa die Hälfte der der Mitglieder sind der Beamtenschaft des Magistrats, des Bezirksamts, des Landgerichts (später Amtsgericht), der deutschen und österreichischen Zollverwaltung und der Grenzaufsichtsbehörden zuzurechnen. Die andere Hälfte bestand aus Handwerksmeistern und wenigen Kaufleuten. Auch die Geistlichen waren Mitglieder. Die hohen Beamten übernahmen das Ruder im Wandererverein. 1870 wurde der königliche Landrichter Schwarz Vorstand, es folgten der königliche Notar Zistl, der königliche Landrichter Lammerer und über acht Jahre der Bezirkshauptlehrer Heilmaier. 

Aufgrund des Übergewichts der Beamtenschaft nahmen die geselligen Veranstaltungen politische Züge an: man war nationalistisch, patriotisch und begeistert vom neuen Deutschen Reich, das 1871 zu Versailles nach dem Krieg gegen Frankreich gegründet wurde. Jährlich fanden am Gedenktag der Schlacht bei Sedan auf dem Ponzaun oder im Ratzesbergerschem Sommerkeller Jubelfeiern mit "Festzug, Böllerschüssen, Musik und Festreden" statt. Ein dreifaches "Hurra" auf den Deutschen Kaiser beendete die Veranstaltungen, die auch der Gesangsverein mitgestaltete.

Festveranstaltungen ähnlicher Art sind in den Protokollbüchern beschrieben. Zum 80. Geburtstag Kaiser Wilhelm I, zur Goldenen Hochzeit des Kaisers, zum Namenstag König Ludwigs II, aber auch in Hanging ließ der Wandererverein bei Gastwirt Pfeil mit österreichischen Zollbeamten die beiderseitigen Kaiserhäuser bei Budweiser Bier hochleben.

1870 beschloss der Verein, eine "seidene Fahne" anfertigen zu lassen. Sie wurde von der Münchner Firma J.G. Schreibmayr gefertigt und kostete 140 Mark.

Am 15. September 1880 wurden die Statuten "revidiert". Beim Vereinszweck fand eine Umstellung statt: an erster Stelle stehen jetzt "gesellschaftliche Unterhaltung", erst an zweiter Stelle "Wohltätigkeit". Die Aufnahme neuer Mitglieder "von unbescholtenem Rufe und gehörigem Anstande" erfolgte nun durch geheime Abstimmung, nachdem vorher Antrag beim Vorstand gestellt werden musste.

Gesellige Veranstaltungen waren jährlich: eine "Landparthie", eine "Schlittage", eine "Sylvesterveranstaltung", manchmal ein "Carnevals-Ball". Teilnahmeberechtigt waren nur Mitglieder mit ihren Angehörigen, Gäste mussten beim Vorstand angemeldet werden.

Dass im letzten Jahrhundert die Veranstaltungen witterungsmäßig besser klappten als heute, ist auf ihr kurzfristiges Anberaumen zurückzuführen. So wurde am 14. Februar 1878 eine Schlittage nach Untergriesbach beschlossen und am 15. Februar bei "prächtigem Wetter" durchgeführt. Achtunddreißig Mitglieder nahmen mit vierzehn Schlitten teil. Abfahrt in Wegscheid um 13 Uhr, Ankunft in Untergriesbach um 14 Uhr, Unterhaltung im Lokal Gäßinger mit Musik, Rückfahrt um 23 Uhr. Weitere Schlittagen fanden bis zum ersten Weltkrieg nach Sonnen, Obernzell, Aigen, Sarleinsbach und Breitenberg statt.

Die Landpartien wurden ebenso kurzfristig angesetzt und fanden an folgenden Stellen statt: am Ponzaun, am Kasbichl, am Wäldchen auf der Anhöhe zwischen Aiglsöd und Hartmannsreuth" und auf der Anhöhe über Meßnerschlag. Den Ortskundigen wird auffallen, dass es sich hier um Aussichtspunkte handelt, die eine besonders schöne Sicht auf den Markt bieten. Die Landpartien waren die Vorläufer der späteren "Waldfeste". Damals rissen sich die Wirte um die Ausrichtung, also wurde per Los entschieden. Die Mass Bier kostete damals 28 Pfennige, jedes Mitglied erhielt vier Liter Freibier. Die etwa siebzig Mitglieder mit wenigen geladenen Gästen vertilgten neben "vorzüglichen kalten und warmen Speisen" 1878 insgesamt vierhundertvierzig Liter Bier, die sechs Musiker der Wegscheider Streichmusikgesellschaft achtunddreißig Liter. Abmarsch war um 14 Uhr, Rückkehr gegen 22 Uhr.

Die sozialen Aktivitäten des Wanderervereins nach 1870

Während in den ersten drei Jahrzehnten nach Gründung des Vereins nur vereinzelt Hilfe geleistet wurde, nahm der "Wohlthätigkeitszweck" nach der Reichsgründung systematische Züge an. Die Ursache ist darin zu suchen, dass mit den Wirtschaftskrisen nach 1870 eine Massenarmut der unteren Schichten entstand, der Staat eine Sozialpolitik damals nicht kannte und die wohlhabenden und staatstragenden bürgerlichen Schichten ihr schlechtes Gewissen beruhigen wollten. Echtes Mitleid war natürlich auch ausschlaggebend, und so gab es von 1873 bis 1908 die "Einkleidung armer und würdiger Schulkinder!. Achtzehn bis vierundzwanzig Schulkinder wurden jährlich mit neuen Tuchjoppen, Kleidern, Handschuhen und Schuhen beschenkt. Die Kleidungsstücke fertigte über lange Jahre hinweg der Schneidermeister Leopold Gruber, die Schuhe der Schuhmacher Daniel Pupeter an. 

Nach der Währungsumstellung 1876 machte das jährlich 80 bis 140 Reichsmark aus. Finanziert wurde diese beachtliche Leistung durch die Erlöse aus einem "Glückshafen" bei der jährlichen Sylvesterveranstaltung und einer "Zigarrenspitzchenversteigerung", den Rest legte die Vereinskasse drauf.

1889 hatte der Verein 372 Mark Einnahmen und 294 Mark Ausgaben. Im Jahre 1912 betrugen die Einnahmen 707 Mark und die Ausgaben 221 Mark. Hier wird der Wirtschaftsaufschwung nach 1900 und das Greifen der sozialpolitischen Maßnahmen deutlich.

Jährlich fand auch eine "Armenspeisung" statt. Sinnigerweise "zur Erinnerung an den glücklichen Verlauf der Schlacht bei Sedan". Bis 1886 erhielten ca. 20 Ortsarme eine "Ausspeisung", bestehend aus: "Voressen, Rindfleisch mit Suppe, Knödl und Gemüse, Schweinsbraten und Gemüse, 1 Glas Bier und Brot. Im Jahr 1882 verlangte der Wirt dafür 1,40 Mark je Essen von der Vereinskasse. Mehrere Ortsarme erhielten diesen Betrag jährlich in bar.

Darüber hinaus wurden bei Unwettern, Krankheit etc. "Collekten" bei den Mitgliedern durchgeführt, um Hilfe leisten zu können.

Der I. Weltkrieg

Mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs fanden keine Vergnügungen mehr statt. Am 20.01.1915 wurden viele Mitglieder einberufen. Sie erhielten vom Verein Pakete, ihre und später auch andere Familien finanzielle Unterstützung. Mit einem Kommentar verabschiedete sich der Schriftführer Hauser für sechs Jahre.

"Fast alle europäischen Staaten hatten es darauf abgesehen, die engverbündeten, im Herzen Europas liegenden deutschen und österreichisch-ungarischen Länder politisch und wirtschaftlich zugrunde zu richten. Wie viele Schmähungen mußte unser geliebtes Vaterland vom vom Feinde durch Wort und Bild seit Kriegsbeginn August 1914 über sich ergehen lassen. Wir wissen, daß kein Fürst mehr auf dem Gebiete des Friedenswerkes arbeitet, wie unser Kaiser."

1 2     weiter »